Um das richtige Verhältnis des Staates zum Gelehrten bei Kant zu erhellen, ist es unumgänglich, zuerst auf die folgenden Fragen einzugehen: wer eigentlich der Gelehrte ist, d.h. was seine Aufgabe und Pflicht ist (zweites Kapitel), und wie und warum der Staat, in Kants Augen, entstanden ist und was der Hauptzweck des Staates ist – traditionell die Themen der Vertragestheorie (drittes Kapitel). Nachdem es sich herausgestellt hat, dass der Gelehte nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, „nach dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft“ die ungerechte Anordnung von dem Staat bzw. der Regierung zu kritisieren und dass die Hauptaufgabe des Staates nach Kants „Idee des ursprünglichen Vertrages“ im Schutz der individuellen Freiheit und der Erhaltung der Gerechtigkeit liegt, konfrontieren wir mit der schwierigen Frage, warum Kant dann das Widerstandsrecht, das traditionell auf der Idee des allgemeingültigen Naturrechts basiert und den Bürgern erlaubt sich gegen die ungerechte Herrschaft aufzulehnen, so strikt abgelehnt hat (viertes Kapitel). Diesen schwer lösbaren Widerspruch zu klären bzw. zu überwinden, geht dieser Aufsatz darauf ein, was eigentlich die wahre und endgültige Pflicht des Gelehten sei (fünftes Kapitel). Laut Kant ist er derjenige, der nicht nur ein Fachmann in seinem Bereich ist, sondern auch nach dem Endzweck des Lebens fragt. Der Gelehrte ist d.h. derjenige, der uns lehrt, dass die ganze Bestimmung der Menschheit in der Moralität liegt und diese nur durch eigene mündige Aufklärung erreicht werden kann. Wir legen deshelb am Ende offen, dass für Kant der einzige Weg, die Freiheit des Menschen in einem Staat herzustellen und walten zu lassen, nicht durch die beliebige Entscheidung eines Machthabers, der eventuell durch die politische Umwälzung die Stelle des Regenten übernimmt, sondern einzig und allein durch das mündig gewordene aufgeklärte Publikum hindurch möglich werden kann. So sieht Kant die Hauptaufgabe und Pflicht des Gelehrten darin, durch die radikale Kritik der Vernunft die Bürger selbst aufklären zu lassen. Weil alle Macht am Ende aus dem allgemeinen Willen des gesamten Volkes herkommt (d.h. Volkssouveränität, wenn auch durch Repräsentativsystem anders als bei Rousseau), werden die Gerechtigkeit und Freiheit in einem Staat niemals möglich, solange die Bürger unmündig bleiben, wenn auch einmal oder ab und zu die Revolution gelungen wäre.